Die Grundgedanken des heutigen Jiu-Jitsu waren schon im 4. Jahrhundert bei Wettkämpfen am chinesischen Kaiserhof zu erkennen. Schon damals verstanden es einzelne Kämpfer, mit „Tricks“, die als Mystik und Magie galten, ihre oft übermächtigen Gegner zu besiegen. Im Gegensatz zum griechischen Ringkampf, in dem athletische Kräfte über den Sieg entschieden, triumphierten die Kämpfer am Kaiserhof durch das Ausnutzen der gegnerischen Kraft. Daher war es keine Seltenheit, daß kleinere, scheinbar schwächere Kämpfer siegten.
In der Zeit der Feuerwaffen benutzten die Kämpfer vorzugsweise leichte Rüstungen, die ihnen Bewegungsfreiheit und rasante Angriffs- und Abwehraktionen ermöglichten. Infolgedessen gewann das Zusammenspiel zwischen Körper und Geist immer mehr an Bedeutung, denn es förderte zu innerer Ausgeglichenheit ein schnelles Reaktionsvermögen.
Der Grundsatz
Das Jiu-Jitsu bot vielen nachfolgende Kampfkünsten eine technische Grundlage, sodaß sich bis heute in unzähligen Stilen und Systemen deutliche Parallelen finden. Zugleich vererbte sich das Grundprinzip des Jiu-Jitsu weiter, das sowohl philosophisch als auch technisch das Wesen vieler Kampfkünste prägt:
„Nachgeben, um zu siegen.“
Dieser Grundsatz ist schon im Namen Jiu-Jitsu verankert – übersetzt bedeutet dieser „sanfte Kunst“. Der Jiu-Jitsu-Kämpfer will seinem Gegner keinen Schaden zufügen, sondern die Gefahr abwenden und dem Angreifer die Gelegenheit geben, über seine Verfehlung nachzudenken.
Die Anwendung
Das konkrete „Nachgeben“ kann sich in einer Kampfsituation unterschiedlich äußern. Die erste und beste Möglichkeit, das Prinzip zu befolgen, ist eine Vermeidung des Kampfes. In diesem Fall besteht das Nachgeben oft darin, seinen verletzten Stolz nicht rächen oder auf eine Beleidigung nicht eingehen zu wollen.
Weitere Anwendungen des Nachgebens bieten sich in einem unvermeidlichen Kampf selbst. Hier beinhaltet das Motto, seine eigene Handlung nach der Kraft des Gegners auszurichten. Die Notwendigkeit einer Einheit von Körper und Geist kommt hier ganz besonders zum Tragen, denn die innere Ausgeglichenheit und Ruhe ist entscheidend dafür, auf Aktionen des Gegners spontan effektiv reagieren zu können.
„Nachgeben, um zu siegen“ ermöglicht jedem Verteidiger, den Kampf zu gewinnen, unabhängig von körperlicher Kraft.
Um dem Grundsatz des Jiu-Jitsu effektiv folgen zu können, bedarf es einer hohen geistigen Schulung des Budoka. Nur wer Körper und Geist in ein perfektes Zusammenspiel bringen kann, besitzt die Ruhe und die Kraft, den Gegner und den Kampf zu kontrollieren.
Beispiel: Wer einen Angreifer als Gegner betrachtet, stellt sich mit ihm auf eine Stufe und erkennt ihn als ebenbürtigen Konkurrenten. Es entsteht Dualität, die eine innere Unruhe hervorruft. Dadurch kann ein körperlich überlegener Gegner von seinen Vorteilen Gebrauch machen, um den Verteidiger zu schädigen. => Die gelernten Techniken können nicht im entscheidenden Moment eingesetzt werden, wenn der Geist zu sehr gestört ist.
Gegenbeispiel: Die körperiche Kraft eines Menschen sei in Einheiten meßbar. Wenn ein Verteidiger mit der Kraft 5 einem Angreifer mit der Kraft 10 sofort entgegenzuwirken versucht, muß er mit Verletzung und Niederlage rechnen. Gibt er jedoch nach, indem er im Angriffsmoment einen Schritt zurücksetzt, behält er seine volle Kraft von 5 und einen sicheren Stand, während der Gegner in eine unsichere Standposition gerät und seine Kraft auf 3 reduziert. Jetzt bietet sich die Chance, die Körperkraft einzusetzten. Mit einem Einsatz von lediglich 3,5 ist es dem Verteidiger nun möglich, den Kampf mit einer Kontertechnik für sich zu entscheiden. => Starke und Schwache haben die gleichen Chancen.