K A I M A R C U S J A C O B I Das Für und Wider eines präventiven Angriffs in einer Notwehrsituation Agieren vs Reagieren E s ist ein Dilemma der SV Wer sich auf eine körperliche Auseinandersetzung einlässt muss damit rechnen sich hinterher vor Gericht verantworten zu müssen Es gilt daher immer genau abzuwägen welche Mittel in der konkreten Situation angemessen sind um sich und andere vor einem Angriff zu schützen und das in einer Situation die wahrscheinlich nicht viel Zeit zum Überlegen lässt Es lohnt sich deshalb sich vorab in Ruhe ein paar grundsätzliche Gedanken darüber zu machen Agieren oder Reagieren Steht fest dass ich mich körperlich selbst verteidigen muss ist eine taktische Entscheidung zu treffen Diese heißt Agie ren oder Reagieren Agieren bedeutet dem Angriff unter Ausnutzung des Überraschungseffekts zuvorzukommen und ihn durch einen eigenen Angriff zu beenden bevor er körperlich begonnen hat offensive Verteidigung Reagieren heißt dagegen den Angriff stattfinden zu lassen also mit der Verteidigung bzw mit einer eigenen Handlung erst nach einer Aktion des An greifers zu beginnen defensive Verteidigung Insoweit stellt sich also die Frage einer eher aktiven oder passiven Verteidi gungstaktik Die meisten Kampfkünste und SV Systeme beschränken sich weitestgehend auf die Option Reagieren Das präven tive Agieren wird fast gar nicht und wenn überhaupt sehr untergeordnet gelehrt Sucht man nach Begründungen dafür werden in den allermeisten Fällen ethische und rechtliche Ar gumente angeführt 1 ETHISCHE ARGUMENTE In ethischer Hinsicht will man sich von einem Schläger ab grenzen denn wer zuerst schlägt wird als brutaler Aggres sor wahrgenommen Sätze wie Das machen wir nicht oder Dafür trainieren wir nicht habe ich in den vergangenen Jahrzehnten öfter gehört Es scheint also irgendwie gegen die Ehre eines Kampfkunstbefassten zu verstoßen eine Notwehrsituation durch einen präventiven Angriff zu lösen Führt man sich aber vor Augen dass es das ausschließliche Ziel einer Notwehrhandlung ist eine konkrete Gefahrensi tuation möglichst unbeschadet zu überstehen erscheint es als sehr fahrlässig die möglicherweise erfolgversprechende Handlungsoption des Agierens alleine aus ethischen Grün den außer Acht zu lassen Letztlich orientiert sich ein An greifer wenn überhaupt in den allerwenigsten Fällen an ethischen Grundsätzen 2 RECHTLICHE ARGUMENTE Das rechtliche Argument ist schon gewichtiger hier wird gel tend gemacht dass das präventive Agieren eine Gratwande rung mit ungewissem rechtlichen Ausgang sei da unter Not wehraspekten der Angriff gegenwärtig sein muss damit das Notwehrrecht Anwendung findet Durch den Begriff gegenwärtig wird gesetzlich der Zeit raum also der früheste bzw späteste Zeitpunkt einer recht mäßigen Notwehrhandlung definiert Für die Beurteilung ob ein Angriff gegenwärtig ist sind ausschließlich objektive Anhaltspunkte maßgeblich Es kommt also auf das objektive Handeln des Angreifers an und nicht darauf was der Ange griffene sich subjektiv vorstellt Gegenwärtig ist nach ständi ger und gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes BGH ein Angriff dann wenn er unmittelbar bevorsteht ge rade stattfindet oder noch andauert Notwehr ist also grundsätzlich auch gegen einen unmit telbar bevorstehenden Angriff zulässig Unmittelbar bevor stehend ist nach der Rechtsprechung des BGH ein Verhalten das zwar noch kein Recht verletzt aber unmittelbar in eine 34 t h e o r i e p r a x i s

Vorschau BI 77 epaper Seite 34
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