Verletzung umschlagen kann und deshalb ein Hinausschie ben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätz lichen nicht mehr hinnehmbaren Risiken aussetzen würde vgl BGH Beschl v 1 2 2017 4 StR 635 16 BGH Urt v 24 11 2016 4 StR 235 16 Entscheidend dürfte demnach sein ob aus der jeweiligen Situation jederzeit eine konkrete Gefährdung für den Ver teidigenden entstehen kann und ein längeres Warten die Verteidigung erheblich erschwert bzw für den Verteidigenden ein nicht hinnehmbares Risiko darstellt Anders ausgedrückt dürfte ein Angriff dann unmittelbar bevorstehen wenn der Täter für seine Tat keine weiteren Zwischenschritte durchführen muss um das Rechts gut zu gefährden oder zu verletzen Im Falle der Bedrohung mit einer Waffe z B Messer dürften diese Voraussetzungen wohl ohne weiteres vorliegen Ein vom Angreifer in Bereitschaft gehaltenes Messer kann je derzeit eingesetzt und damit zu einer konkreten Gefahr wer den Durch Abwarten würden sich die Chancen einer erfolg reichen Verteidigung vermindern denn ein sich bewegendes Messer ist für den Verteidigenden schwieriger abzuwehren als ein ruhendes Schon vor diesem Hintergrund sollte es zuläs sig sein sich bereits gegen ein drohendes Messer oder eine andere Waffe verteidigen zu dürfen Schon schwieriger in der Beurteilung ist die Rechtslage wenn der Aggressor außerhalb der Schlagdistanz mit der erhobenen Faust droht oder diese in Schlagbereitschaft hält Hier kann man in der Tat geteilter Meinung sein da der Angreifer sich immerhin noch in die Schlagdistanz begeben muss Bewegt der Angreifende sich aber nach vorne und gelangt mit seinen erhobenen Händen in die Schlagdistanz werden wohl die Voraussetzungen einer Notwehrlage vorliegen Man wird im Ergebnis sagen kön nen Je offensiver und kampfbereiter der Angreifer Distanz verkürzt und sich dadurch in die Lage versetzt eine Rechts gutverletzung unmittelbar herbeizuführen desto eher ist ein Angriff als gegenwärtig anzusehen Es muss im Ergebnis zugestanden werden dass das Re agieren unter rechtlichen Gesichtspunkten die eindeutig si cherere Lösung ist weil der Angriff zweifellos ge rade stattfindet und man sich in keinem Grenz bereich bewegt Kommt es zu einer gerichtlichen Überprüfung einer Notwehrhandlung gegen einen unmittel bar bevorstehenden Angriff kann der Ausgang nicht sicher vorausgesagt werden Entscheidend kann hier unter anderem auch sein wie die Geschehnisse auf Umstehende gewirkt ha ben die gegebenenfalls in einer Gerichtsverhandlung als Zeu gen auftreten Einiges spricht in diesem Zusammenhang da für dass der derjenige der zuerst schlägt auch als Aggressor wahrgenommen wird Wer wirklich kein rechtliches Risiko eingehen und auf der sicheren Seite stehen möchte ist in der Tat besser beraten einen Angriff abzuwarten und dann erst zu reagieren 3 WAS SPRICHT FÜR EIN PRÄVENTIVES AGIEREN Zu berücksichtigen ist aber dass die Option Reagieren we gen der höheren Komplexität der Verteidigungshandlung und des erforderlichen Reaktionsvermögens ein deutlich er höhtes Erfolgs und Verletzungsrisiko beinhaltet Es besteht die recht hohe Gefahr durch den Angriff verletzt zu werden und die Situation nicht unbeschadet zu überstehen Das gilt insbesondere weil dem Angreifer viele unterschiedliche An griffsmöglichkeiten zur Verfügung stehen Wer reagiert lässt passieren hat das Heft des Handelns zunächst nicht in der Hand und auch weniger Kontrolle über die Situation Demgegenüber ist eine erfolgreiche Verteidigung mit der Taktik Agieren auch mit sehr limitierten Fähigkeiten mög lich im Idealfall reicht die beherzte und kon sequente Ausführung einer einzigen Angriffs aktion Wenn diese ge lingt gewinnt man sehr schnell Kontrolle über die Situation und wird sie in den meisten Fällen unbeschadet überstanden haben Agieren mindert also das Verletzungsrisiko nicht un erheblich und verschafft schnelle Kontrolle Darüber hinaus wird der Kampf im Idealfall mit einer Technik und damit schnellstmöglich beendet Denn klar ist Je länger die Ausein andersetzung dauert desto größer ist auch das eigene Verlet zungsrisiko Ein entscheidender Aspekt ist auch dass die Fä higkeiten für die erfolgreiche Durchführung einer offensiven Verteidigungsaktion in der Regel ohne größeren Trainings aufwand erlernt werden können 4 FAZIT Es sprechen im Ergebnis gute und gewichtige Gründe für die Option Agieren Letztlich muss wie in den meisten Fällen situationsbedingt für den Einzelfall entschieden werden wel che Vorgehensweise zielführend ist Auf jeden Fall verdient die Option Agieren mehr Beachtung und sollte grundsätzlich auch in Erwägung gezogen und trainiert werden Ein präventives Agieren kommt in Betracht wenn der Kampf unausweichlich ist Das wird in der Regel dann der Fall sein wenn alle Deeskalationsversuche gescheitert sind keine Fluchtmöglichkeit besteht und der Angreifer versucht Distanz zu verkürzen und offen sichtlich kampfbereit ist Gegenwärtig ist ein Angriff wenn er unmittelbar bevor steht gerade stattfindet oder noch andauert Je offensiver und kampfbe reiter der Angreifer Distanz verkürzt desto eher ist ein Angriff als gegenwärtig anzusehen Agieren mindert das Verlet zungsrisiko und verschafft schnelle Kontrolle 35t h e o r i e p r a x i s

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